Richard Gölz
Der Kantor Schwabens (The Cantor of Swabia).
Ein Film von Sabine Gölz und Oleg Timofeyev
Arbat Film, 2016, 106 min.
Der Film ist als DVD über den TVT-Verlag-Tübingen für 25 € + Porto (1,45 €) erhältlich.
Rezension aus anstöße 1-2019
Zeitschrift der ok - OFFENE KIRCHE - in Württemberg
Richard-Gölz Film: »Der Kantor Schwabens«
„Der Film ersetzt ganze Bibliotheken. Was für ein großes Verdienst“, so Dr. Hans-
Martin Schweizer. Wer ihn gesehen hat, weiß warum. Leben und Wirken von Richard
Gölz werden filmisch gelungen erzählt, so dass dabei „ganz nebenbei“ die erste
Hälfte des 20.Jahrhunderts – speziell die württembergische Theologie- und
Kirchengeschichte – anschaulich und begreifbar werden. Auch Dank der jahrelangen
Recherchen der Filmemacher*innen Sabine Gölz und Oleg Timofeyev. Ihr Film zeigt
einfühlsam, wie sich Menschen in der evangelischen Kirche dem Nationalismus
entsagen konnten. Wort, Bild, Klänge – eine stimmige Einheit. Im Zentrum Richard
Gölz (1887-1975), der große Musiker, Pfarrer, Nazigegner und KZ- Häftling in
Welzheim. Ein Überlebender, der im hohen Alter noch einmal aufbricht.
Als Herausgeber des als „Gölz“ bekannten Chorgesangbuches (1934) entdeckte
Gölz die Choralmusik der Reformationszeit neu. Als Gründer der „Alpirsbacher
Arbeit“ war er ein Pionier bei der Wiederentdeckung gregorianischer Choräle und
der klösterlichen Stundengebete. Mit seiner Form der »Evangelischen Messe« holte
er für Evangelische das Abendmahl in den Gemeindegottesdienst zurück.
Zusammen mit seiner Frau Hilde gewährte er jüdischen Untergetauchten ein Asyl im
Pfarrhaus. Denunziert und am 23.12.1944 vor der Stiftskirche Tübingen verhaftet –
war er bis Kriegsende im KZ Welzheim inhaftiert.
Sein Projekt einer Sangesschule im Kloster Bebenhausen zur Erweckung
klösterlichen Lebens in der evangelischen Kirche fand im Sommer 1945 keine
Resonanz. Er konvertierte mit 61 Jahren zur russisch-orthodoxen Kirche. Dort war er
in der Hamburger Gemeinde tätig (1951-58), ehe er mit 71 Jahren in die USA
aufbricht. Er wird Priester in der serbisch-orthodoxen Kirche, bis 1975.
Die letzte Passage des Films gehört für mich zum besonders Eindrücklichen:
Interviews mit ZeitzeugInnen aus seiner Gemeinde und Fotos aus diesen Jahren in
Milwaukee, da Gölz als „Father John“ tätig war. Ein Seelsorger, den Menschen
zugewandt, ernst und frei und froh. Ein Zeuge des Evangeliums, ohne Pathos, ohne
fromme Anbiederung. Wenn man so will, ein Heiliger des 20. Jahrhunderts,
protestantischer Herkunft. Über sein Lebenswerk konnte Gölz einmal sagen:
„Kinderhand hat mit einem Schäufelchen in ein Eimerchen etwas vom Sand am
Meeresufer eingesammelt.“ Ich bin dankbar für diese Eimerchen mit etwas
Meeressand. Richard Gölz hat im Rückgriff auf Reformation, Gregorianik und
Orthodoxie für den Glauben Quellen aufgetan, die Zukunft eröffnen: vorbürgerliche
Traditionen für ein nachbürgerliches Christentum. Ohne Christen wie Richard Gölz
kann ich nur schwer an eine heilige, christliche Kirche glauben. Der Film überzeugt
mich: Es gibt sie.
Harry Waßmann – Tübingen